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Rockin´ in a Free Pedal World


Gegen die sauber gemähten vorgärten der kreativität

Letzte Nacht hatte ich Albträume. Von hektisch blinkenden 19“-Gerätschaften in meterhohen Racks. Von einem schlangenähnlichen Multicore, das meine ausufernde Pedal-Station am Bühnenrand mit der fetten Wet/Dry/Wet-Anlage hinter mir verbindet. Und von herrischen General-MIDI-Befehlen in einer mir unbekannten Sprache und 128 Presets, in einem von ihnen sich mein Gitarren-Sound versteckt hatte. Und ich ihn einfach nicht wieder finden konnte... 

Nun ist es acht Uhr morgens, es ist ein Sontagmorgen in der norddeutschen Provinz, und ich finde mich ziemlich zerknittert im Schlafzeug an der Tastatur wieder, um eine Brandrede zur Befreiung der Effektpedale von ihren Boards zu schreiben! Es ist doch so: Wir Pedaljünger bewegen uns langsam aber sicher in genau dieselbe Richtung, die wir Ende der 80er-Jahre freiwillig und mit guten Gründen genussvoll  in die Tonne getreten haben.

Gegen die strikte Ordnung

Ich mache mir wirklich ernsthaft Sorgen. Denn als die bunte, schillernde Pedalwelt die seit den 1980er Jahren etablierten 19“-HiTech-Systeme mit einem Schlag ablöste, hatten sich die Pedal-Vertreter vor allem um eins verdient gemacht: Um die Wiedererlangung der Kreativität in der Sound-Findung und im Umgang mit Sound - stets verbunden mit ein bisschen Chaos und Anarchie, aber auch mit Anlehnung an Traditionelles. Man wollte der kreativen Unbeweglichkeit der vor Vielseitigkeit strotzenden, aber im Handling eher starren 19“-Systemen entfliehen. Das Arbeiten an und Konservieren von Sounds war zu umständlich, vielmehr wollte man wieder instant access zu seinem Sound, und das möglichst mit analoger, einfacher Technik. Lieber zehn one trick Ponys als ein Multi-Effektprozessoren, lieber Herz als Verstand. Ein klares Statement, ausgedrückt in der bunten Vielfalt, die sich alsbald auf dem Boden der Bühnen wiederfand.

Was daraus folgte, ist längst Geschichte. Das Effektpedal-Revival erlaubte kleinen Boutique-Hersteller, das Feld von hinten aufzuräumen und in den Fokus der lechzenden Gitarrist*innen Meute, während große 19“-Firmen wie TC, Rocktron und andere sich bemühten, ihr über die Jahre entwickeltes KnowHow nun in Pedal-Technik umzustricken. Traditionelle Pedal-Hersteller wie Ibanez und Boss wunderten sich nicht lange, welche Preise bestimmte ihrer Pedale auf dem 2nd-Hand-Markt erzielten und bereicherten das bunte Treiben mit Neuentwicklungen und Reissues dieser alten, erfolgreichen Modelle. Und tatsächlich ist ein Ende dieses wunderbar bunten Treibens, das zu Anfang dieses Milleniums begann, bis nicht abzusehen. Aber es gibt gewissen Tendenzen - also: wehret diesen Anfängen!

Foto: Lothar Trampert
Foto: Lothar Trampert

oder doch? wählt die pedalLiga!

Ich habe nämlich meine Befürchtungen, wenn ich sehe, wie effektiv ausgeklügelte HiTech-Technik mittlerweile die Pedalboard-Welt unterwandert hat. Programmierbare Looper, unfassbar aufwendige Multi-Effektpedale, teure Preset-Digital-Effekte, MIDI-Clocks, zweite und dritte Ebenen etc.  legen die Frage nahe: Wieweit ist es denn wieder mit uns gekommen?

Dabei ist die Grundlage dieses Treibens doch erschreckend banal. Erst diese Pedalboards ermöglichen eine sinnvolle Nutzung sogenannter Pedal-Systemen, Pedalboards, auf denen es oft so wohl geordnet und steril aussieht wie digitale A/B-Reihen in SMD-Chips.

Jeder Pedaltreter kennt das Szenario: Willst du auf deinem Board nur mal eben ein Pedal austauschen, dann entsteht unweigerlich Stress. Mal sind die In- und Output-Buchsen seitlich, mal an seiner Stirnseite angeordnet. Mal liegt die DC-Buchse links, mal rechts, mal vorne. Ist das neue Pedal montiert, müssen zur umfassenden Integration die Programmierungen von Loopern und Effekten verändert werden. Das alles bedeutet in der Summe: Jede Veränderung eines dieser hochtechnisierten Boards ist nur mit einem riesigen Zeit- und Energieaufwand zu bewältigen. Spontanität und Kreativität ist somit Einhalt geboten – und damit hat sich die Pedal-Welt ihrer wichtigsten Argumente selbst beraubt!

Doch nicht mit mir! Ich rufe hier in meinem Schlafanzug an einem norddeutschen Sonntagmorgen, die Gründung der PedalLiga aus, eine Vereinigung, die sich für die bedingungslose Freiheit aller Effektpedale einsetzt. Egal, aus welcher Herren Länder sie stammen, welcher Farbe und welchem Geschlecht - digital, analog, divers - sie angehören.

Foto: Lothar Trampert
Foto: Lothar Trampert

Selbst Wikipedia hat dem Pedalboard einen Eintrag gewidmet.  Ich zitiere: "...Der Vorteil von Pedalboards liegt insbesondere in der Verkürzung der Rüstzeiten für den Bühnenaufbau und in der höhere Bedienungssicherheit auch auf ungleichmäßig ausgeleuchteten Bühnen durch die stets gleiche Anordnung der Bedienungselemente..." 

https://de.wikipedia.org/wiki/Pedalboard

Der Anfang vom Ende.


genussstrategie statt planspiele

 Obacht! Pedalboards sind mit einem unheilbaren Virus infiziert, der über kurz oder lang bewirkt, dass sie in der Regel voll bestückt sind. Egal, wie klein oder wie groß sie sind. Dann meinen ihre Besitzer, dass sie ohne eine gewisse strategische Verwaltung nicht mehr auskommen. Also genau das Szenario, auf das HiTech-Maniacs nur warten, um nun perfide unsere Welt zu unterwandern. Denn dieser Virus ist extrem ansteckend!

 

Doch es gibt gute Nachrichten. Das Programm der von mir gegründeten PedalLiga schlägt eine Lösung gegen die drohende Technokratie, gegen die Verwaltung eures Gitarren-Sounds vor, zusammengefasst in acht knackigen Punkten:

  1. Schraubt/klebt wieder ordentliche Gummifüße an eure Pedale!
  2. Verteilt die Pedale locker vor euch auf dem Fußboden! Wenn es viele Pedale sind, gerne in einem schönen Halbkreis.
  3. Beobachtet eure Pedalkette, verfolgt die Adern, durch die euer Signal von Effekt zu Effekt fließt, genießt das Spinnennetz, das die Stromversorgung um Eure Pedale webt. Hier wie dort fließt Energie, die nichts als eure Musik transportiert!
  4. Ordnet die Pedale immer wieder anders an! Mal sinnvoll, mal unsinnvoll, vielleicht mal alphabetisch, mal nach Farben, mal nach Gefühl – und hört genau zu, was am Ende dabei heraus kommt. Vielleicht werdet ihr überrascht werden, wie wunderbar!
  5. Spielt das gleiche Programm mit eurer Band mal mit 20, mal mit drei Effekten!
  6. Spielt nie mit einer Genre-spezifischen Bestückung, NIE! (Ein so genanntes „Blues-Board“ ist ja immer mit einem Low-Gain-Verzerrer, einem Delay und einem Vintage-Hall bestückt. Wie langweilig. Als ob der Blues nicht mit einem Fuzz, einem Oktaver etc. nach Blues klingen würde).
  7. Nehmt einen Koffer voller Pedale mit zum Gig und wählt dort spontan aus, was es denn für den Abend sein soll. Brecht mit der Vorhersehbarkeit, denn nur so entwickeln sich eigene Stimmen und eigene Sounds!
  8. Und nun trennt euch sofort von den Boards, den sauber gemähten Vorgärten Eurer Kreativität!

Natürlich gibt es gestattete Ausnahmen: Bist du auf Tour und spielst du jeden Abend das gleiche Set, dann ist es einfach ungeheuer praktisch, deine Pedale auf einem Board zu montieren. Alles andere würde einfach zu viel Zeit brauchen, und in der Regel erlaubt ein Tour-Alltag auch kaum kreative Spielereien mit Sound und Musik. Also - diese Ausnahme-Regel sei euch gewährt.

free world

Was nehme ich denn heute Abend mit?
Was nehme ich denn heute Abend mit?

Wir leben in einer halbwegs freien Welt, warum also sollten wir uns mit diesen steril ausgerichteten, so ungeheuer effektiven Pedalboards unsere Freiheit, Spontanität und Kreativität beschneiden? Pedale ganz frei ohne die vergebene Ordnung von Boards zu benutzen, bedeutet das Ende von Board-Fummelei, Nerverei, Platzangst und Größenwahn und schützt vor steriler, digitaler Kontrolle und Preset orientiertem Denken und Spielen. Es kann sogar zu einem minimalistischem Ansatz führen, aller Vielfalt dieses sympathischen Treibens mit vielen Pedalen zum Trotz. Denn manchmal ist tatsächlich Weniger Mehr. Aber am wichtigsten bleibt: Pedalboard freies Arbeiten mit Effekten schafft ganz einfach den nötigen Raum für Experimente und Überraschungen, die uns, unsere Sounds und damit auch unsere Musik zu neuen Ufern führen kann. Denn nichts ist wichtiger als die Inspiration, und die kann man weder planen noch irgendwo einprogrammieren.

 

Dieser Artikel erschien in einer früheren Form erstmals in der Sonderausgabe "Effektpedale ABC" von Gitarre & Bass.


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Kommentare: 2
  • #1

    Dirk Schierenberg (Montag, 24 Mai 2021 01:38)

    Das mache ich tatsächlich die ganze Zeit …
    Habe mir vor 2 Jahren den 1. Looper /Switcher fürs Board geholt, damit der Stepptanz aufhört der steht heute noch unbenutzt rum �‍♂️��✌️

  • #2

    Rainer Neumann (Montag, 14 November 2022 14:23)

    Ein sehr unterhaltsamer Beitrag von ? oh jeh die grauen Zellen ��� jedenfalls kann ich das nur unterstreichen als alte Gitarren Socke � ich hab stets mit maximal 3 Tretminen gearbeitet um größtmögliche Dynamik und Gitarren Ton zu behalten , bei so wenig Effekten fällt s auch kaum ins Gewicht dass alte Treter keinen extra Bypass haben , es klingt trotzdem wunderbar ,… als ich mich naiv in den 90 gern auf Multis einließ , war auf einmal der Gitarren Ton komprimiert , dünn und wie durch einen Telefonhörer , später hab ich mich schlau gelesen , die AD/ DA Wandler taugten nicht sonderlich , gerade in meinem Boss ME - 6 oder später auch dem ME - 10 , sie klingen nicht wirklich schlecht … aber drei Einzel Analog Pedale direkt in einen Tube Amp klingen einfach völlig anders , ich meine damit nicht alleine zu tendieren , schöner Beitrag , sehr sehr gerne mehr davon � Danke Danke … auch gerne Erfahrungen was User für Klangerlebnisse bekommen mit ihren unterschiedlichsten Anwendungen und ihrem Equipment , Amp + Gitarre einbezogen , ich finde darüber liest man viel zu wenig , immer nur …. Mein neuestes Pedal ist daaaa , aber keine Erwähnungen was sich nun geändert hat im Gesamten Klangbild , Musikalische Grüße Rainer N.